„Halbe Transparenz gibt es nicht.“
Architektin und Stadtplanerin Anais Cosneau ist mit STADTDIALOG für die Bürger:innen als neutrale Ombudsstelle während des Baus der Martinshöfe in Weingarten im Einsatz. Foto: BUWOG
Wohnen

„Halbe Transparenz gibt es nicht.“

Die Architektin Anais Cosneau ist als Ombudsstelle im Einsatz bei einem großen Bauprojekt der BUWOG in Weingarten. Wir treffen sie zum Interview über gute Kommunikation, Anwohner-Sorgen und transparente Immobilienunternehmen.

 

„Wer auskunftsfähig ist und nachhaltig und architektonisch gut baut, wird bei den Menschen immer auf ein offenes Ohr stoßen“

 

Die Architektin Anais Cosneau ist in vielen Feldern aktiv: Als Gründerin des Frauennetzwerks Happy Immo Club, als Speakerin bei Kongressen, als Kolumnistin und Unternehmensberaterin. Mit STADTDIALOG führt sie Architektur und Kommunikation zusammen – und organisiert baubegleitende Dialoge mit der Anwohnerschaft. Auch dann, wenn es mal laut wird.

Wir treffen Anais Cosneau auf einem Spielplatz in München, wo sie gerade auf der Leitmesse EXPO REAL im Einsatz war. Ihr Partner Simon ist mit den drei Kindern von Berlin aus nachgekommen, die Familie genießt die Herbstsonne, jetzt ist etwas Zeit für ein Interview.

 

Sie haben gerade Ihr Amt als Ombudsstelle aufgenommen für das Projekt Martinshöfe in Weingarten. Wie würden Sie die Aufgabe beschreiben?

Anais Cosneau: „Ich bin zusammen mit meinem Team von STADTDIALOG die erste Anlaufstelle der Bürger:innen und ansprechbar für alle Fragen, die dieses große Bauprojekt betreffen. Diese Aufgabe ist eine Schnittstellenfunktion, die ich bereits bei ähnlichen Großprojekten in Süddeutschland wahrgenommen habe. Es geht darum, die Anliegen beispielsweise aus der Nachbarschaft zu bündeln, die nötigen Informationen beim Projektteam des Bauträgers zu recherchieren und, wenn nötig, zu vermitteln.“

 

Worauf kommt es da an? Welche Fähigkeiten brauchen Sie da in der Praxis?

Anais Cosneau: „Man braucht ein sehr gutes technisches Verständnis für den Bauablauf. Hier hilft mir mein Hintergrund als Architektin mit Erfahrung von großen Stadtplanungsprojekten im In- und Ausland. Zugleich haben wir es mit ganz unterschiedlichen Menschen und Fragestellungen zu tun, man muss sich also schnell auf die einzelnen Personen einstellen um zu verstehen, was das rein sachliche Anliegen ist und welche Ängste oder Befürchtungen vielleicht zusätzlich dahinterstehen. Vor allem muss man gut strukturiert sein und die Dinge benennen. Auch dann, wenn es vielleicht schlechte Nachrichten sind.“

 

Welche besonderen baulichen Herausforderungen gibt es in Weingarten?

Fachbereichsleiter Jens Herbst (3.v.l.) mit Ombudsleuten und dem BUWOG-Projektteam: Roman Steindl (l), Sile O Driscoll (r) und Maria Wechsel von i+R Gruppe (2.v.l.)Anais Cosneau: „In Weingarten wird ein 3,7 Hektar großes Grundstück direkt in der Innenstadt umgestaltet. Hier war rund 150 Jahre lang Industrie und Gewerbe angesiedelt, zuletzt eine Pressen- und Maschinenfabrik. Nun wird ein neues Quartier entstehen mit rund 500 Wohnungen, einem Park, dazu gibt es wohnbegleitendes Gewerbe – insgesamt ein architektonisch und städtebaulich guter Entwurf, der für den Ort Sinn macht. Das Problem ist nur: Bevor die Wohnungen gebaut werden können, müssen die alten, massiven Fundamente aus der Industriezeit aus dem Boden entfernt werden. Das geht nur mit extrem aufwändigen Verfahren. Man kann zwar durch den Einsatz spezieller Sägen so gut es geht den Lärm und den Staub reduzieren – aber da mache ich auch nicht viel Hoffnung. Es gehört zur Realität dazu, dass es in den nächsten Monaten und mindestens bis März 2023 laut und schmutzig wird. Da gibt es nichts zu beschönigen. Es geht aber auch nicht anders.“

 

Welche Chancen bietet der Dialog zwischen Bürger:innen und Bauträger? Gerade gab es zum Beispiel einen Infotag, wie haben Sie das erlebt? 

Anais Cosneau: „Der Großteil der Bürgerinnen und Bürger in Weingarten freut sich auf das neue Quartier. Es ist eigentlich jedem klar, dass Weingarten nicht fit für die Zukunft ist, wenn in der Innenstadt eine graue Industriebrache liegt und darunter kontaminierter Boden. Allein aus klimatischen Gründen brauchen wir Entsiegelung und die Möglichkeit, dass Regenwasser versickert, Gebäude und Bäume Schatten spenden. Die Leute hier in der Region sind realistisch und wissen das. Einerseits freuen sie sich auf die neuen Martinshöfe, andererseits sind natürlich Baulärm und Bauschmutz eine tägliche Nervenprobe. Es wird aber anerkannt, dass die BUWOG als Bauträger sich zumindest bemüht, so gut und es geht, durch technische und organisatorische Optimierungen diese Phase bestmöglich zu gestalten. Aber laut und schmutzig bleibt es trotzdem, das ist klar. Der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern ist aber wichtig, weil alle ein Verständnis entwickeln müssen für das, was hier entsteht, auch an Chancen für Weingarten. Deshalb muss man sich auch immer vor Augen führen: Neue Wohnungen, das bedeutet Steuereinnahmen, Investitionen in der Region – von Beauftragungen für lokale Handwerksbetriebe bis hin zu Einbauküchen und Waschmaschinen in den neuen Wohnungen. Das ist auch ein Wirtschaftsfaktor.“

 

Was kann die Immobilienbranche bei Dialog und Kommunikation besser machen?

Anais Cosneau: „Nach meiner Erfahrung beginnt es mit der Erreichbarkeit. Die Menschen wünschen sich eine echte und glaubwürdige Ansprechperson und kein Call-Center, bei dem man stundenlang in der Warteschleife hängt. Außerdem kann ich die Branche nur zu mehr Transparenz auffordern! Im Zeitalter von Social Media und Co müssen Unternehmen jederzeit mit dem, was sie so treiben, transparent und offen umgehen können. Halbe Transparenz gibt es nicht. Wer aber zu Projektdetails auskunftsfähig ist und in der Sache nachhaltig und architektonisch gut baut, wird bei den Menschen immer auf ein offenes Ohr stoßen und als guter Partner empfunden werden – für die Stadtgesellschaft und die Politik.“

 


„Allein aus klimatischen Gründen brauchen wir Entsiegelung und die Möglichkeit, dass Regenwasser versickert, Gebäude und Bäume Schatten spenden.“

Foto Architektin nais Cosneau 2022 Ombudsstelle. Credit_privat

 


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Michael Divé

Über den Autor

Michael Divé

Michael Divé ist Teamleiter Kommunikation und Pressesprecher der BUWOG in Deutschland.

Er leitet die Unternehmenskommunikation und die digitalen Kanäle der BUWOG in Deutschland und moderiert den Podcast GLÜCKLICH WOHNEN. Nach seinem Studium der Medienwirtschaft an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und Toulouse (Frankreich) war er als Journalist und Medienmanager für verschiedene Medien und Unternehmen tätig.