Berlin nach 1989: Von Neuanfang und zu weiten Jacketts
Architektur nach 1989: Der Potsdamer Das Sony Center am Potsdamer Platz. Foto: Frank Bunge/Pexels
Podcast

Berlin nach 1989: Von Neuanfang und zu weiten Jacketts

Unter dem Titel „HAUSAUFGABEN. Bauen in Berlin nach 1989“ haben die Architekten Frank Arnold und Mathias Gladisch ein viel beachtetes Buch im Verlag Wasmuth & Zohlen vorgelegt. Was kann man am Beispiel von Berlin lernen für die Entwicklung von Metropolen? Welche Hausaufgaben gingen und gehen mit Stadtentwicklung einher?

 

„Die Zeit nach 1989 gliedern wir in drei Dekaden“, erklärt Architektin Anne Niediek, Prokuristin des Büros Arnold und Gladisch Architekten. Zunächst war die Euphorie groß, „alle wollten nach dem Architekturstudium nach Berlin.“ Bloß nicht verpassen, was es dort zu gestalten gab: Eine ganze Stadt, die sich quasi neu erfinden würde! Die ehemals geteilte Stadt, die per Hauptstadtbeschluss vom 20. Juni 1991 zugleich Regierungssitz sein würde, träumte in schillernden Farben davon, rasch auf über 4 Millionen Menschen anzuwachsen.

 

Doch der Euphorie folgte die Ernüchterung. Davon kündet im Buch schon das Vorwort des Architekten und Stadtplaners Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur: „Der Spruch von Berlin als Baustelle war nie wahrhaftiger als in der Dekade nach 1990. Von einer Hauptstadt der Architektur konnte dabei allerdings nicht die Rede sein.“

Blockrandbebauung: Innovation nicht vorgesehen

Axel Schmidt und Anne Niediek sind zu Gast im BUWOG Podcast. Foto: Hahn

In die Zeit des ersten Booms zählen das 1995 eröffnete Sony Center, der 2001 fertiggestellt Leipziger Platz und die Neugestaltung der Friedrichstraße. Hier sind es namentlich drei Carrés, die als Quartier 205, 206 und 207 für Einzelhandel und Gastronomie konzipiert wurden.

Als die umfangreichen Bauvorhaben der ersten Dekade fertig waren, fehlten die neuen großen Projekte. Zum Ende der Euphorie gehört auch die Erkenntnis: Zur Welthauptstadt der Architektur wurde Berlin nicht. Nur einige wenige architektonisch große Würfe stammen aus dieser Zeit. Das von Liebeskind geplante Jüdische Museum ist eines der wenigen architektonisch eindrucksvollen und in dieser Phase geplanten Bauwerke (wenngleich auch erst 2001 eröffnet).

 

„Berlin war nicht vorgesehen für die innovativsten Architekturprojekte“, erklärt Architekt Axel Schmidt, Prokurist des Büros Arnold und Gladisch Architekten. „Es war recht strikt eine Blockrandbebauung vorgesehen. Das ging Hand in Hand mit dem Planwerk Innenstadt, dem eine ja vielleicht zu Recht etwas rückwärtsgewandte städtebauliche Vision zugrunde lag. Nämlich die Idee der Stadtreparatur.“ Dass man da vorsichtiger herangegangen sei, könne man ein Stück weit sogar verstehen. „Da ist nicht an jeder Ecke die große architektonische Sensation entstanden, aber eben auch Architektur, die heute nicht wehtut.“

Arm aber sexy: Die Zeit der kreativen Formate

Auf die Phase nach dem Boom folgte in den Jahren nach 2000 die Flaute der Bauindustrie. Berlin war bei Weitem nicht so stark gewachsen wie gedacht. Im Gegenteil: Die Stadt hatte mit jeder Menge Wohnungsleerstand zu kämpfen. Die großen Projekte wie das Band des Bundes und das Regierungsviertel waren beendet und viele Architekturbüros und Baufirmen suchten händeringend neue Aufträge. „Als der Bauboom nachließ, war die planende Zunft angehalten, alternative Aufträge aufzutun – etwa in Form von selbst initiierten Projekten.“

 

Das Büro Arnold & Gladisch initiierte und gestaltete unter anderem Baugruppen. Kleinere Formate, deutlich kreative und unkonventionelle Projekte fallen in diese Zeit – und auch die Fassaden werden bunter. Die Bebauung von Bombenlücken und Leerstellen im Stadtbild, teilweise komplizierte Grundstücke, erfordern Ideenreichtum und Geschick, bieten auch die Chance für architektonisch spannende Lösungen.

Seit 2003 war der Ausspruch von Berlin als „arm aber sexy“ zum Credo der Stadt geworden.

Stadtsoziologisch zwickt das Jackett

Berlin ist in sein zu großes Jackett reingewachsen, so heißt es im Buch. „Ja, das Jackett war zu groß, weil es viele Lücken gab, viele Brachen, viel Leerstand. Die meisten dieser Brachen sind nun gefüllt“, so Anne Niedick. Und an einigen Stellen kneife das Jackett mittlerweile merklich: „Die fehlenden Wohnungen. Da haben wir in Berlin lange nicht damit gerechnet, dass Wohnungen mal knapp sein würden.“

 

So stehen die größeren Hausaufgaben vielleicht noch bevor, findet auch Axel Schmidt: „Stadtsoziologisch gibt es große Probleme, weil massiv kostengünstiger Wohnraum fehlt.“ Es hake daran, dass die Wohnungsbaugesellschaften mit explodierenden Grundstücks- und Baupreisen kämpfen. „Der Mietpreis von 6,50 ist bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen nicht zu halten, wenn man zu den aktuellen Preisen bauen muss.“ Höher und in Serie bauen könnte ein Teil der Antwort sein: „Man muss heute nicht im Wohnhochhaus denken, aber man könnte sich auch in den Außenbereichen mehr Mut zutrauen, mehr Höhe schaffen und mehr urbane Dichte erzielen.“

Baukultur: Abschauen erwünscht

HAUSAUFGABEN - Bauen in Berlin nach 1989

Doch was kann Berlin von anderen Städten lernen? Regelmäßig reist das Büro Arnold und Gladisch ins Ausland, um bei Exkursionen in verschiedenen Metropolen wie Amsterdam, Barcelona, Kopenhagen oder Wien, die ortsbezogene Baukultur zu vertiefen. Anne Niedick: „Ich war gerade in Zürich und war erstaunt, wie viel Hochhaus die sich trauen, dafür, dass die Stadt viel kleiner ist als Berlin.“

 

Euphorisch gestartet, dann arm aber sexy und heute zu mutlos? Will Berlin seine gegenwärtigen HAUSAUFGABEN gut machen, dann muss es schon links und rechts beim Nachbarn spicken.

Das aber ist in diesem Fall ausdrücklich erwünscht.

 

 

Buch-Tipp: HAUSAUFGABEN
Bauen in Berlin nach 1989. 25 Jahre Arnold und Gladisch Architekten.

 

 

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Michael Divé

Über den Autor

Michael Divé

Michael Divé ist Teamleiter Kommunikation und Pressesprecher der BUWOG in Deutschland.

Er leitet die Unternehmenskommunikation und die digitalen Kanäle der BUWOG in Deutschland und moderiert den Podcast GLÜCKLICH WOHNEN. Nach seinem Studium der Medienwirtschaft an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und Toulouse (Frankreich) war er als Journalist und Medienmanager für verschiedene Medien und Unternehmen tätig.