Vegetation in der Architektur: Hortitecture
Die Architektin und Professorin Almut Grüntuch Ernst forscht zu Hortitecture. Foto: Bernd Bauerochse
Podcast

Vegetation in der Architektur: Hortitecture

Das Konzept der Hortitecture beschäftigt sich mit der Integration von Vegetation in die Architektur und sucht nach Möglichkeiten, Architektur und Pflanzen zu vereinen. Das Ziel: Städte in Zukunft naturnäher planen, Biodiversität erzeugen und die Wohngesundheit verbessern. Die Architektin Almut Grüntuch-Ernst forscht auf dem Gebiet der Hortitecture. Sie ist Professorin an der TU Braunschweig, Mitgründerin von Grüntuch Ernst Architekten und Mitglied der Akademie der Künste. Im BUWOG-Podcast erläutert sie die Chancen und Herausforderungen der Integration von Pflanzen im Neubau sowie bei bestehenden Gebäuden. Internationale Beispiele illustrieren: Hortitecture ist erfolgreich umsetzbar und bietet viele Vorzüge für Mensch und Natur.

 

Der Begriff Hortitecture setzt sich aus „Hortus“ (Latein für Garten) und Architektur zusammen und beschreibt Konzepte, die darauf abzielen, Vegetation aktiv in die Architektur zu integrieren. Diese Integration geht über die herkömmliche Dach- und Fassadenbegrünung hinaus und hat vielfältige Auswirkungen. Sowohl auf das Klima als auch auf die Lebensqualität in urbanen Umgebungen. Gebäude bieten Oberflächen, die „aktiviert werden können“, um das lokale Klima positiv zu beeinflussen, so die Architektin Almut Grüntuch-Ernst. Sie hat maßgeblich zur Erforschung und Verbreitung von Hortitecture beigetragen. Ihr viel beachtetes Buch „Hortitecture. The Power of Architecture and Plants“ (Jovis Verlag) präsentiert die Arbeiten von 32 internationalen Expert:innen auf diesem Gebiet.

Dach- und Fassadenbegrünungen in Neubau und Bestand

Klar ist: Angesichts des Bevölkerungswachstums und der zunehmenden Verdichtung von Städten gewinnt diese Synergie zwischen Natur und Architektur zunehmend an Bedeutung.

 

Dach- und Fassadenbegrünungen im Großformat geplant und realisiert bieten dabei nicht nur ästhetische Vorteile, sondern verbessern auch die Luftqualität und das Mikroklima in städtischen Gebieten erheblich. Diese Maßnahmen tragen zur Erhaltung der Biodiversität bei und bieten zahlreiche ökologische Vorteile, wie die Reduzierung der Überhitzung in urbanen Gebieten. Zusätzlich können sie helfen, die Energiekosten zu senken und schaffen wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Jedoch sind Dach- und Fassadenbegrünungen mit verschiedenen Herausforderungen verbunden, die berücksichtigt werden müssen. Angefangen mit der Technik.

 

Dazu gehören Aspekte wie die Statik der Gebäude, der Wasserkreislauf für die Bewässerung der Pflanzen, der Blitzschutz sowie die Sturmverankerung, um die Sicherheit der Begrünungssysteme zu gewährleisten. Um diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, ist ein fundiertes Wissen zur Integration von Vegetation in die Architektur erforderlich.

Hortitecture im Neubau: Grün von Anfang an

Bei Neubauten können spezielle Konzepte von Anfang an berücksichtigt werden, um nachhaltige Bauprojekte zu fördern und den Energieverbrauch zu reduzieren. „Langfristig ist es die bessere Strategie, nicht haustechnische Geräte auf Dächern zu platzieren, sondern diese wertvollen Oberflächen zu aktivieren“, ist sich Almut Grüntuch-Ernst sicher. Hortitecture bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich, insbesondere im Bestand. Doch gerade hier liegen auch große Chancen, um vorhandene Gebäude nachhaltig aufzuwerten und zu transformieren. Es bedarf Mut und finanzieller Investitionen, aber die Ergebnisse können sowohl ökologisch als auch ökonomisch äußerst lohnend sein. Besonders im Bereich des Umbaus sind „individuelle Herangehensweisen und Einzelfallentscheidungen“ der Schlüssel zum Erfolg, berichtet die Architektin.

Hortitecture als Lösung für urbane Herausforderungen

Städte wie Singapur und Ho-Chi-Minh-City sind Vorreiter im Bereich Hortitecture. Viele urbane Gebiete zeichnen sich durch extreme Bebauungsdichte, hohe Temperaturen und begrenzten Raum aus. Dort besteht gesellschaftliche und politische Einigkeit darüber, dass Grünflächen von entscheidender Bedeutung und dringend erforderlich sind. In der Gesetzgebung dieser Regionen gibt es entsprechende Vorgaben, die Bauprojekte verpflichten, jede versiegelte Fläche durch eine bioaktive Fläche auszugleichen – bis zu elfmal so groß wie die versiegelte Fläche.

 

Im Ergebnis entstehen beeindruckenden Bauprojekten, bei denen Hortitecture par excellence umgesetzt wird, etwa Hochhäuser mit integrierten Gärten auf verschiedenen Gebäudeebenen. Die architektonischen Lösungen sind intelligent auf das Klima abgestimmt, wie etwa Doppelfassaden bestehend aus Glas, einem Zwischenraum und einem – bepflanzten – Sonnenschutz.

 

Die High Line in New York wiederum ist ein öffentlicher Park, der auf stillgelegten Bahntrassen errichtet wurde. In Zusammenarbeit mit Architekt:innen und Landschaftsplaner:innen wurde sie zu einem grünen Rückzugsort inmitten der Großstadt. Die Pflanzenauswahl und die Anwendung von Permakultur machen dieses Projekt zu einem Beispiel für nachhaltige urbane Gestaltung unter Berücksichtigung der spezifischen lokalen klimatischen Bedingungen.

Hortitecture in Europa: Vertikale Wälder und grüne Bürogebäude

Hochhaus wird zum Wald: Die Zwillingstürme "Bosco Verticale" in Mailand.Foto Sophie Otto
Hochhaus wird zum Wald: Die Zwillingstürme „Bosco Verticale“ in Mailand. Foto Sophie Otto

In Europa ist etwa das Gebäude Bosco Verticale in Mailand ein herausragendes Beispiel für Hortitecture im Großformat. Die begrünten Zwillingstürme eines Hochhauskomplexes beherbergen Hunderte von Bäumen, Sträuchern und Pflanzen. Es wurde entwickelt, um urbane Biodiversität zu fördern und die Luftqualität zu verbessern, indem es CO2 absorbiert und Sauerstoff produziert. Das Projekt Bosco Verticale hatte jedoch mit einigen Herausforderungen zu kämpfen, darunter Schädlingsbefall und der saisonale Laubfall der Bäume. Themen, die man mit wachsender Expertise aber gut in den Griff bekommt, betont Grüntuch-Ernst. Mittlerweile hat sich in Mailand sogar eine Rotkehlchen-Art wieder angesiedelt. Ein Beispiel, das zeigt, dass die Natur zurückkehren kann. „Das Vorhandensein von belebter Natur ist ein Zeichen auch für die Vitalität von Menschen“, findet Almut Grüntuch-Ernst.

 

In Berlin ist das Bürogebäude Darwinstraße in Berlin-Charlottenburg eines der vielleicht eindrucksvollsten Beispiele für Hortitecture. Und: Lebendiges Beispiel für die gelungene Transformation eines ehemaligen Industriegeländes. Einst ein Kraftwerkgelände, wurde es nun in einen öffentlichen Park umgestaltet, der nicht nur als grüne Oase dient, sondern auch Raum für Erholung bietet. Durch die Integration der Haustechnik in den Baukörper und die Schaffung von mehreren Terrassen bis hin zum Dachpark verbindet dieses Projekt neue Arbeitswelten mit ökologischen und sozialen Angeboten. Almut Grüntuch-Ernst: „Wenn Sie ein Luftbild von dem Grundstück sehen, würden Sie das Gebäude gar nicht finden!“

 

Ein Projekt, das 2022 sogar mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur ausgezeichnet wurde, ist das Hotel Wilmina in Berlin. Dieses ehemalige Frauengefängnis wurde nicht nur umgebaut, sondern auch das Umfeld renaturiert und jede mögliche Fläche begrünt und aufgewertet. So entstand ein innerstädtischer Ruheraum mit minimalem CO2-Fußabdruck. Das Hotel Wilmina ist ein Paradebeispiel dafür, wie historische Bauten mit minimalen Eingriffen in ihre Substanz zu nachhaltigen und lebenswerten Orten umgewandelt werden können.

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„Es bedarf Mut und finanzieller Investitionen, aber die Ergebnisse können sowohl ökologisch als auch ökonomisch äußerst lohnend sein.“


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Michael Divé

Über den Autor

Michael Divé

Michael Divé ist Teamleiter Kommunikation und Pressesprecher der BUWOG in Deutschland.

Er leitet die Unternehmenskommunikation und die digitalen Kanäle der BUWOG in Deutschland und moderiert den Podcast GLÜCKLICH WOHNEN. Nach seinem Studium der Medienwirtschaft an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und Toulouse (Frankreich) war er als Journalist und Medienmanager für verschiedene Medien und Unternehmen tätig.