Freiraumgestaltung für mehr Grün in der Stadt
Landschaftsarchitektin Prof. Dr. Antje Backhaus im BUWOG Podcast über Freiraumplanung. Foto: BUWOG
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Freiraumgestaltung für mehr Grün in der Stadt

Glücklich wohnen – dazu gehört neben Wohnraum, der zu den Wohnbedürfnissen passt, auch alles, was nicht bebaut ist. Freiraumplanung nennt sich diese Disziplin, die durch Klimawandel und Verdichtung der Städte immer wichtiger wird. Wie gelingt moderne Freiraumgestaltung im Quartier? Welche Rolle spielen ökologische und soziale Qualitäten? Ein Interview mit Prof. Dr. Antje Backhaus über einen Spagat, der viele Chancen mit sich bringt.

 

Während die Landschaftsplanung vor allem die ökologischen Aspekte der Freiräume in den Fokus rückt, so beschäftigt sich Landschaftsarchitektur mit der gestalterischen Seite. Ob man nun von Freiraumgestaltung, Landschaftsplanung oder Landschaftsarchitektur spricht: Es sind Felder, die bei der Entwicklung von Städten und Quartieren immer wichtiger werden. Das bestätigt im Interview auch Prof. Dr. Antje Backhaus, Stadtplanerin, Diplom-Ingenieurin für Landschaftsnutzung und Naturschutz sowie Geschäftsführerin von Gruppe F Freiraum für alle GmbH – einem Büro für Landschaftsarchitektur, Landschaftsplanung & Partizipation.

Urban Heat Island Effect: 45 Grad heiße Tage

Der Klimawandel, die notwendige Klimaanpassung und zugleich der Kampf um den Platz in unseren Städten sind aktuelle Herausforderungen, die sich schnell verschärfen werden. „Schon im Jahr 2030 werden wir 45 Grad heiße Tage haben. Dann werden unsere Parks, unsere Bäume und unsere Gebäude damit umgehen müssen.“ Klimaanpassung an die zukünftigen Temperaturen sei dringend notwendig: „Wir müssen schnell handeln, weil sonst das Leben in der Stadt sehr bald unerträglich wird. Es ist vielen Leuten gar nicht klar, wie dringlich das ist.“

 

Gerade in den Innenstädten beobachte die Wissenschaft den Urban Heat Island Effect: Versiegelte Fläche, dunkler Asphalt oder unbegrünte Flachdächer heizen sich schnell auf 60 Grad auf und speichern im Hochsommer die Hitze. Dagegen hilft Entsiegeln und Begrünen: Bäume sorgen für Schatten, die Verdunstung über die Blätter kühlt die Umgebung und über offene Flächen kann Regenwasser zurück in den natürlichen Wasserkreislauf gelangen. Stadt- und Quartiersentwicklungen stellen hier einen wichtigen Hebel dar, so die Expertin: „Viele Elemente wie Gründächer, Versickerungsbereiche, teildurchlässige Beläge, zum Beispiel Wege mit breiteren Fugen, wo Wasser versickern kann, sind gute bauliche Maßnehmen. Sie können uns helfen, die Stadt grüner zu machen und ein Stück weit herunterzukühlen.“

Biodiversität: Rasenflächen reichen nicht

 Dabei sei in der Praxis viel Kreativität gefragt, damit es nicht bei langweiligen Rasenflächen zwischen Wohnhäusern bleibt, die vielfach noch immer das Bild der großen Wohnsiedlungen prägen, die in den 1960er und 1970er-Jahre errichtet wurden. „Wenn wir die Verdichtung der Städte ausgleichen wollen, brauchen wir potente Flächen, die viel können, man spricht von multifunktionalen Freiräumen. Also vielseitige, strukturreiche und artenreich bepflanzte Areale“, so Dr. Backhaus: „Flächen, die für Biodiversität viel bieten, die zugleich Begegnungsraum sind und auf denen Regenwasser versickern kann.“ Wir müssen in den Städten besonders gute Grünräume schaffen und die Mittel bereitstellen, dass diese gut gepflegt werden.

 

Doch welche Pflanzen heute zum Einsatz kommen, das hängt von deren zukünftiger Anpassungsfähigkeit an heißere, trockenere Sommer ab. Welcher Baum kommt mit den 45 Grad am besten zurecht, die in sieben Jahren durchaus herrschen werden? Prof. Dr. Antje Backhaus: „Nur bestimmte Baumarten sind für solche Perioden geeignet. Viele Baumschulen betreiben hier Forschung, viele Kommunen sind dabei, auch die Gartenamtsleiterkonferenz ist da sehr engagiert.“ Sie gibt zum Beispiel eine Klimaliste heraus, auf der bestimmte robuste Baumarten beschrieben sind.

 

„Jeder Quadratmeter, der grüner wird, ist ein guter.
Wir brauchen offenen Boden, wir müssen entsiegeln, wo wir können.“

 

Dabei müsse neben der Anpassungsfähigkeit auch die Eignung der Pflanzung für die Tierwelt beachtet werden, gibt die Expertin zu bedenken: „Die Annahme ist, dass Pflanzen aus trockenerem Gebieten etwa aus dem mediterranen Raum, künftig hier besser zurechtkommen werden. Wir dürfen aber auch auf die ökologische Wertigkeit nicht aus dem Blick verlieren: Ein Ginkgo zum Beispiel kommt gut mit wärmerem Klima klar, hat aber für die heimische Tierwelt keine besonders große Bedeutung.“

 

Ob Ginkgo oder doch heimische Linde: Alles ist besser als Asphalt. „Jeder Quadratmeter, der grüner wird, ist ein guter! Wir haben viele Flächen zwischen Parkplätzen, die gepflastert sind, weil es pflegeleichter ist. Wir brauchen in Zukunft so viel bepflanzten Boden wie möglich, wir brauchen offenen Boden, wir müssen entsiegeln wo wir können!“

 

In der Konsequenz steht also die Frage im Raum, wie noch mehr Boden entsiegelt werden kann – etwa Parkplätze und Straßen, die momentan dem Auto vorbehalten sind. Hier lohne der Blick ins Ausland: „Kopenhagen beispielsweise hat viel früher angefangen. Dort hat man die Infrastruktur für das Fahrradfahren ausgebaut und sich entschieden, das Auto aus der Stadt rauszuhalten. Autofahren ist dort unglaublich teuer.“ In diesem Rahmen wurden Flächen entsiegelt, damit bei Starkregenereignissen das Wasser versickern kann und die Stadt fit gemacht als Schwammstadt. Ein positives Beispiel, das Lust machen kann auf die Veränderung, so Backhaus. „Es ist eine riesige Chance, dass wir unsere Städte grüner und lebenswerter machen.“

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Schon gewusst? Nettonullversiegelung

Der Versiegelungsanteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche wird hierzulande auf 45 Prozent geschätzt und es werden aktuell immer mehr Flächen versiegelt. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union wollen bis 2050 die Nettonullversiegelung erreichen. Bis 2030 sollen dazu die einzelnen Staaten eigene Ziele stecken für die Verringerung des Netto-Flächenverbrauchs – ein erster Schritt. Ab 2050 soll mit der Nettonullversiegelung die „Flächenkreislaufwirtschaft“ erreicht sein. Das schließt eine ausgeglichene Bilanz zwischen Versiegelung und Entsiegelung ein.

 


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Michael Divé

Über den Autor

Michael Divé

Michael Divé ist Teamleiter Kommunikation und Pressesprecher der BUWOG in Deutschland.

Er leitet die Unternehmenskommunikation und die digitalen Kanäle der BUWOG in Deutschland und moderiert den Podcast GLÜCKLICH WOHNEN. Nach seinem Studium der Medienwirtschaft an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und Toulouse (Frankreich) war er als Journalist und Medienmanager für verschiedene Medien und Unternehmen tätig.