Von der Idee zum Quartier: Experimentelles Entwerfen
Die Professorin Susanne Brorson ist zu Gast im BUWOG-Podcast. Foto: BUWOG
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Von der Idee zum Quartier: Experimentelles Entwerfen

Wie entsteht Neues in der Architektur? In Folge 66 von „GLÜCKLICH WOHNEN – der BUWOG Podcast“ spricht Susanne Brorson, Professorin für Architekturentwurf an der Akademie der bildenden Künste Wien, über die Bedeutung des experimentellen Entwerfens und warum dieser Ansatz gerade heute so relevant ist. Themen sind dabei die vernakuläre und klimagerechte Architektur sowie die Frage, wie Wissen an Studierende weitergegeben werden kann. Neben ihrer Lehrtätigkeit leitet Prof. Susanne Brorson ein Architekturbüro auf der Ostseeinsel Rügen. Dort erforscht sie eine klimatische und regenerative Architektur, die durch Experimente entsteht, eng mit Landschaften und Orten verbunden ist und bewusst mit dem Vorgefundenen arbeitet.

„Die Bauwirtschaft muss neue Antworten finden“

Experimentelles Entwerfen unterscheidet sich deutlich vom klassischen architektonischen Entwurf. Es ist kein linearer Prozess, sondern ein forschendes, systematisches und zugleich offenes Vorgehen. Ziel ist es, Fragen zu stellen, neues Wissen zu generieren und ungewohnte Konzepte auszuprobieren, erklärt Brorson. Die Methoden reichen von theoretischen Studien bis zu gebauten Prototypen. Susann Brorson: „Wenn Experimente gebaut, genutzt und auf diese Weise analysiert und evaluiert werden können, dann wird es besonders spannend.“

 

Ein Beispiel dafür sind die Versuchshäuser in Bad Aibling von Florian Nagler, die mit radikal reduzierten Bauweisen die Frage aufwerfen, wie wenig Technik und bauliche Komplexität ein gutes Gebäude tatsächlich benötigt. Historisch spielte experimentelles Entwerfen vor allem in Zeiten des Umbruchs eine Rolle, etwa in den 1960er Jahren mit Archigram, einer Gruppe britischer Architekten, oder beim Einzug der Digitalisierung in die Architektur. Heute ist es erneut hochaktuell, denn Klimawandel und CO2-Reduktion verlangen nach neuen Lösungen. Themen wie zirkuläres Bauen, nachwachsende Rohstoffe und Materialexperimente stehen dabei im Fokus. „Die Bauwirtschaft muss neue Antworten finden. Experimentelles Entwerfen ist dafür ein zentrales Werkzeug“, so Prof. Susanne Brorson im BUWOG-Podcast.

Vernakuläre Architektur im Ostseeraum: Tradition trifft Nachhaltigkeit

Besonders nah an ihrer Arbeit liegt die vernakuläre Architektur des Ostseeraums, nicht zuletzt wegen der Herkunft der Architektin und der Lage ihres Büros auf Rügen. „Wie sind diese Gebäude geformt und organisiert? Wie reagieren sie auf das lokale, saisonale Klima im Ostseeraum?“, beschreibt Brorson die zentralen Fragen, die sie an der vernakulären Architektur interessieren. Vernakuläre Architektur bezeichnet eine Bauweise, die lokal verwurzelt, traditionell und eng an die natürlichen, kulturellen und sozialen Bedingungen eines Ortes angepasst ist. Traditionelle Häuser mit Reet- oder Seegrasdächern, einfachen Baukonstruktionen und passiver Klimatisierung zeigen, dass regionale Bauweisen seit Jahrhunderten auf Klima und verfügbare Ressourcen reagieren.

 

Solche Strategien können Architektinnen und Architekten heute wieder aufgreifen. Es bedarf jedoch reaktivierten oder neu gewonnenen Wissens, um Gebäude passiv zu klimatisieren, langlebig zu gestalten und mit einfachen Baukonstruktionen auszukommen. „Es geht auch darum, lokale Wertschöpfungsketten zu stärken“, betont die Expertin im Interview.

Gebaute Experimente als Lernlabor

Ein zentraler Bestandteil von Brorsons Forschung sind gebaute Prototypen. Die Architektin lebt selbst in einem umgebauten DDR-Typenhaus, das sie als „Experimentalhaus“ für Lehre und Forschung nutzt. Gemeinsam mit Studierenden oder im eigenen Studio entstehen 1:1-Mockups, die neue Materialien und Bauweisen erproben. Dazu gehören ein Holzpavillon in Rom oder das Projekt „Seasonal Wall Dressing“ an ihrem Wohnhaus auf Rügen. Durch temporäre Wandschichten, die je nach Jahreszeit angepasst werden, untersucht Brorson, wie Gebäude flexibler auf klimatische Veränderungen reagieren können. Gleichzeitig zeigt die Praxis: Experimentelles Entwerfen erfordert Mut, Fördermittel und Kooperation. Bisher stehen in der Architektur nur begrenzt Forschungsmittel zur Verfügung, erklärt Brorson. Entscheidend sei zudem das interdisziplinäre Zusammenspiel unterschiedlicher Fachbereiche, von Landwirtschaft und Forstwirtschaft bis hin zur Soziologie: Erst durch diese enge Zusammenarbeit könne die Baupraxis neue Wege einschlagen und innovative, nachhaltige Lösungen entwickeln.

Knowing Through Making: Lernen durch Tun und Erproben

Als Gastprofessorin in Wien möchte Susanne Brorson vor allem Kompetenzen und Methoden vermitteln, die Studierenden ermöglichen, komplexe Probleme selbstständig zu erschließen. Dabei setzt sie auf „Knowing Through Making“: Wissen entsteht im Tun, im unmittelbaren Umgang mit Material, Raum und Maßstab. Studierende lernen, dass Offenheit und Unvorhersehbarkeit keine Hindernisse, sondern Chancen sind. Gleichzeitig sollen sie Werkzeuge für ihre spätere berufliche Praxis entwickeln.

 

Ob Klimaanpassung, Materialexperimente oder die Wiederentdeckung lokaler Bautraditionen: Experimentelles Entwerfen eröffnet neue Wege für Architektur sowie für die Stadt- und Quartiersentwicklung. Innovation kann dabei nicht nur durch digitale Technologien entstehen, sondern auch durch den Blick zurück und durch das aktive Testen, Machen und bewusste Erproben.

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Michael Divé

Über den Autor

Michael Divé

Michael Divé ist Teamleiter Kommunikation und Pressesprecher der BUWOG in Deutschland.

Er leitet die Unternehmenskommunikation und die digitalen Kanäle der BUWOG in Deutschland und moderiert den Podcast GLÜCKLICH WOHNEN. Nach seinem Studium der Medienwirtschaft an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und Toulouse (Frankreich) war er als Journalist und Medienmanager für verschiedene Medien und Unternehmen tätig.