Wie lässt sich Energie aus Abwasser gewinnen – und warum wird dieses Potenzial bislang kaum genutzt? In der neuen Folge von „Glücklich wohnen – der BUWOG Podcast“ spricht Moderator Michael Divé mit Benedikt Leidorf, Head of Energy & Real Estate Solutions beim Immobilienunternehmen FRANK. Leidorf erklärt, wie aus Abwasser erneuerbare Energie wird, warum die Technologie noch wenig verbreitet ist – und welche Rolle Daten für die Energiewende spielen. Aufgenommen wurde das Gespräch im „Fruchthof“, einem denkmalgeschützten Kontorhaus im Hamburger Oberhafenquartier.
In der öffentlichen Wahrnehmung stehen erneuerbare Energien meist für Solarenergie, Windkraft und Geothermie – Abwasser als Energiequelle bleibt dabei oft unbeachtet. Dabei zählt Abwasser ebenfalls zu den erneuerbaren Energien und bietet großes Potenzial: Es ist das ganze Jahr über mit relativ konstanten Temperaturen zwischen 10 und 20 Grad Celsius verfügbar. Genau darin liegt sein großer Vorteil und macht es – vor allem in Kombination mit modernen Wärmepumpen – besonders effizient gegenüber anderen erneuerbaren Wärmequellen wie der Außenluft, deren Temperatur im Winter stark abfällt. Benedikt Leidorf: „Abwasser ist eine Energiequelle, die ungenutzt verloren geht.“
Wohnquartier Helling: So funktioniert die Abwasser-Wärmegewinnung
Ein konkretes Beispiel ist das von FRANK entwickelte Wohnquartier Helling in Hamburg, in dem rund 150 Haushalte leben. In Zusammenarbeit mit HAMBURG WASSER ließ FRANK innerhalb von nur zwei Wochen einen rund 120 Meter langen Wärmetauscher in einem bestehenden Abwasserkanal installieren, berichtet Benedikt Leidorf. Die Aluminiumplatten dieses Wärmetauschers liegen am Boden des sogenannten Siels, das eine Breite von etwa 80 Zentimetern und eine Höhe von 1,45 Metern hat. Damit ist das Siel etwas größer als die Mindestanforderung, die für eine Nachrüstung notwendig ist. Über die Aluminiumplatten fließt das warme Abwasser; darunter verlaufen Rohrschleifen, über die die Wärme entzogen wird. Dabei wird dem Abwasser nur so viel Energie entnommen, dass es anschließend noch mindestens zehn Grad Celsius hat – dies ist für die weitere Aufbereitung in der Kläranlage wichtig. Die so gewonnene Wärme wird einer Wärmepumpe zugeführt, die – vereinfacht gesagt – wie ein umgekehrter Kühlschrank funktioniert. „Über ein Kühlmittel und einen Kompressor wird die Quelltemperatur mittels Stroms auf ein nutzbares Temperaturniveau gehoben“, erklärt Benedikt Leidorf. Das Ergebnis: eine zuverlässige und umweltfreundliche Wärmeversorgung für das gesamte Quartier. Die Warmwasserbereitung erfolgt dezentral in den Wohnungen – mit 45 statt der üblichen 60 Grad Celsius, da höhere Temperaturen schlicht nicht erforderlich sind. „Energie sollte gar nicht erst erzeugt werden, wenn sie nicht gebraucht wird“, sagt Leidorf.
Nicht überall, aber vielerorts sinnvoll
Ist diese Technik überall einsetzbar? Nicht ganz. Für eine wirtschaftlich und technisch sinnvolle Nutzung ist ein ausreichender Abwasserdurchfluss erforderlich – in der Regel mindestens 15 Liter pro Sekunde. Diese Menge wird meist erst in Städten oder größeren Gemeinden mit etwa 3.000 bis 5.000 Einwohnenden erreicht. „Energie aus Abwasser ist deshalb vor allem eine Lösung für den urbanen Raum, aber keine Flächenlösung“, erklärt Benedikt Leidorf. Auch die baulichen Gegebenheiten sind entscheidend: Der vorhandene Abwasserkanal muss groß genug sein, um einen Wärmetauscher integrieren zu können. Trotz dieser Anforderungen sieht Benedikt Leidorf großes Potenzial für die Technologie – nicht nur im Neubau, wie etwa im Wohnquartier Helling, sondern auch im Bestand. FRANK setzt in nahezu allen Projekten auf Wärmepumpen, die jeweils mit der bestgeeigneten Energiequelle vor Ort kombiniert werden. „Für den Betrieb der Wärmepumpe suchen wir im Quartier stets die effizienteste Energiequelle“, erklärt Leidorf. Mal ist das Abwasser die beste Option, häufig Geothermie – und in manchen Fällen auch eine Luftwärmepumpe.
Die Nutzung von Abwasserwärme kann einen Beitrag zur Energiewende leisten. Eine Schweizer Leitlinie weist auf das Potenzial hin, mehr als 100.000 Haushalte mit Wärme aus Abwasser zu versorgen – hochgerechnet wären das in Deutschland rund 850.000 Haushalte. Das ist zwar kein Allheilmittel, aber ein Baustein in einem vielfältigen Mix erneuerbarer Wärmequellen. Warum wird diese Quelle also bislang kaum genutzt? Die Gründe sind weniger technischer, sondern eher organisatorischer Natur, meint Benedikt Leidorf. Die Wärmetauscher müssen in das öffentliche Kanalnetz integriert werden, wofür kommunale Ver- und Entsorgungsbetriebe zuständig sind. Private Unternehmen dürfen hier nicht eigenständig eingreifen. Die Umsetzung erfordert intensive Abstimmungen und Planungsprozesse, was vielerorts noch als Hürde empfunden wird. „Es gibt noch Berührungsängste bei den Ver- und Entsorgungsbetrieben“, sagt Leidorf. Doch er ist überzeugt: „Pilotprojekte helfen, Vertrauen aufzubauen.“
Digitalisierung und kommunale Wärmeplanung
Ein zentrales Thema für die Zukunft der Energieversorgung ist der Umgang mit Daten. Benedikt Leidorf ist überzeugt, dass digitale Informationen eine Schlüsselrolle in der Energiewende spielen werden. Um Quartiere effizient mit Wärme zu versorgen, braucht es verlässliche Informationen: „Wir müssen wissen, wie viel Energie wir erzeugen müssen, wann wir sie erzeugen müssen und auch, wie effizient unsere Anlagen laufen“, erklärt Leidorf. Nur so kann das Prinzip der bedarfsgerechten Energieerzeugung in die Praxis umgesetzt werden, was sowohl für den Klimaschutz als auch für die Wirtschaftlichkeit von Bedeutung ist.
Ab 2026 sind größere Städte in Deutschland gesetzlich verpflichtet, eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen. Benedikt Leidorf sieht darin eine wichtige Chance für die Nutzung von Abwasser als Energiequelle und rechnet mit wachsender Bedeutung dieser Technologie. Einige Kommunen gehen bereits voran: Die Stadtwerke Duisburg planen eine großflächige Anlage zur Nutzung der Wärme aus geklärtem Abwasser, um das Fernwärmenetz zu speisen. Ein zusätzlicher ökologischer Vorteil ist, dass die entstehende leichte Abkühlung des Rückflusses hilft, die Erwärmung des Rheins zu verringern – ein Gewinn auch für den Gewässerschutz.
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