Planen und Bauen soll günstiger werden – und damit auch das Wohnen. Eine Lösung für diese Herausforderung verspricht der Gebäudetyp E. Was genau sich hinter diesem Gebäudetyp verbirgt und welche Chancen er für einfaches und experimentelles Bauen bietet, wird in der aktuellen Podcastfolge 54 geklärt. Zu Gast ist Theresa Keilhacker, freie Architektin und Präsidentin der Architektenkammer Berlin. Ein Gespräch über die Potenziale des Gebäudetyps E und seine möglichen Auswirkungen auf das Bauen der Zukunft.
Um die Wohnungsknappheit zu lindern, müssen Bauprozesse effizienter, schneller und einfacher gestaltet werden – nur so kann auch bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Gleichzeitig steht der Bausektor im Kontext der Klimakrise. Ausgangssituation für den Gebäudetyp E waren Überlegungen zur Bestandssanierung mit dem Ziel, dass bestehende Gebäude im Betrieb weniger CO2 ausstoßen, berichtet Theresa Keilhacker. Aus dieser Zielsetzung heraus entstanden mehrere Vorschläge zur Anpassung der aktuellen Gesetzeslage, darunter der Gebäudetyp E. „Dieser wurde nicht nur für Neubauten, sondern auch für die Bestandserhaltung und Nachverdichtung entwickelt“, erklärt Keilhacker. Und der Lösungen für gängige Problem sucht: So ist z. B. für die Aufstockung von Bestandsgebäuden ein neuer Bauantrag erforderlich, der die Umsetzung zahlreicher Vorschriften erfordert. Das Kostet Zeit und Geld. Viele dieser Vorschriften, wie die stärkere Berücksichtigung der Barrierefreiheit, sind sinnvoll und notwendig, es gibt aber auch Vorschriften, deren Umsetzung nicht immer zielführend ist. „Oft müssen wir heute einen Goldstandard in vielen Bereichen erfüllen“, so die Architektin.
Eine Lösung bietet der Gebäudetyp E: Der Buchstabe „E“ steht für einfache und experimentelle Gebäudetypen, die von den aktuellen Standards abweichen.
Entscheidend ist dabei eine klare Trennung zwischen technisch notwendigen Anforderungen und Komfortstandards. „Die anerkannten Regeln der Technik bleiben verbindlich“, stellt die Expertin klar. Es gehe lediglich um die Möglichkeit, bei den Komfortstandards von den teilweise hohen und kostenintensiven DIN-Vorgaben abzuweichen. „Der Komfortstandard eines Gebäudes sollte flexibel und verhandelbar sein“, so die Architektin. Eine Anpassung des Rechtsrahmens, wie sie durch den Gebäudetyp E angestrebt wird, würde Planendende und Bauende dabei unterstützen, miteinander neue Wege zu gehen.
„Innovation ist nicht möglich ohne Risiko“
Ein Beispiel für die Anwendung niedrigerer Standards im Rahmen des Gebäudetyps E ist der Schallschutz in Wohngebäuden. Hier reicht oft ein normaler Standard aus, um eine gute Funktionalität zu gewährleisten. „Durch diese Abweichung vom Goldstandard kann z.B. die Deckendichte reduziert werden, was sowohl Ressourcen als auch Kosten spart“, erklärt die Expertin. Ein weiteres Beispiel betrifft die Anzahl der Steckdosen, die für eine 3-Zimmer-Wohnung: Nach aktueller DIN-Norm kommt man hier auf 47 Steckdosen. Aber braucht man die alle? Mit dem Gebäudetyp E kann die Zahl auf 27 Steckdosen reduziert werden – eine minimale Absenkung des Komfortstandards, die von den Bewohnenden nicht direkt als Einschränkung wahrgenommen wird. 20 Steckdosen sparen, das klingt nach wenig Effekt. Aber, wenn man bedenkt, dass Steckdosen geplant, unter Putz verbaut, gewartet oder repariert werden müssen, ist das eben doch ein Faktor, der die Wirtschaftlichkeit ein Stückchen verbessert.
Theresa Keilhacker betont, dass der „Goldstandard“ natürlich weiterhin gebaut werden darf, aber gerade im leistbaren Wohnen, kann auch eine Absenkung sinnvoll sein. Wieviel Spareffekt ist da drin? Eine durchschnittliche Kostenreduktion von ca. 10 % durch die Maßnahmen des Gebäudetyps E hält Keilhacker für realistisch, insbesondere bei größeren Bauvorhaben. Sie geht davon aus, dass in Einzelfällen sogar Einsparungen von bis zu 20 % möglich sind, insbesondere bei der Bestandssanierung. „Bei Neubauten dürften die Einsparungen eher geringer ausfallen“, schätzt sie. Um die Grundstückskosten zu senken, schlägt sie ergänzend eine andere Bodenpolitik vor, z.B. mit Erbpachtmodellen und Vergabewettbewerben, wie es im Wiener Modell des sozialen Wohnungsbaus stattfindet.
Ästhetisch anspruchsvoll und trotzdem günstiger
Kritiker:innen befürchten, dass die Abkehr von anerkannten Normen die Bauqualität gefährden und zu einem „Wohnen zweiter Klasse“ führen könnte. Theresa Keilhacker widerspricht dieser Befürchtung und betont, dass es Aufgabe der Planung sei, Gebäude so zu gestalten, dass sie sowohl ästhetisch als auch funktional überzeugen, ohne den Eindruck minderwertigen Wohnens zu erwecken. „Wir müssen einfache Lösungen finden, die ästhetisch anspruchsvoll sind und gleichzeitig weniger kosten“, erklärt sie.

Ein Beispiel für kreative Lösungen ist die Integration eines Sanierungsfahrplans in den Neubau, der zum Beispiel den nachträglichen Anbau von Balkonen vorsieht. Auch flexible Grundrisskonzepte, wie sie in Gründerzeithäusern zu finden sind – etwa die Möglichkeit, Wohnungen im Seitenflügel temporär dem Vorderhaus zuzuordnen und umgekehrt – bieten Potenzial für zukunftsfähige Baukonzepte. Die erfolgreiche Umsetzung des Gebäudetyps E erfordert jedoch auch informierte und mutige Bauherren. „Innovation ist nicht möglich ohne Risiko“, so Keilhacker. Es brauche den Mut, auch wiederverwendete Bauteile aus dem zirkulären Bauen, wie gebrauchte Fenster oder Türen, einzusetzen – auch wenn diese keine Gewährleistung mehr haben. „Bauen ist viel Kommunikation“, so Keilhacker. Ein erfolgreicher Bauprozess setzt daher auf die Zusammenarbeit aller Beteiligten, um innovative Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.
Noch wartet das Gesetz zum Gebäudetyp E auf Verabschiedung im Bundestag. Aber schon jetzt ist klar: „Unabhängig davon, wie es auf Bundesebene weitergeht, hat der Gebäudetyp E schon jetzt Denkprozesse angestoßen“, findet Theresa Keilhacker. Ein Nachdenken über das, was es wirklich braucht im Planen, Bauen und Wohnen und wo Abstriche möglicherweise machbar und gut hinnehmbar sind.
Jetzt die ganze Folge hören!
Das könnte Sie auch interessieren:
- Leitfaden des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E
- Architektenkammer Berlin: Leitfaden zum Planen und Bauen im Kreislauf
- 100 Jahre IBB: Die Rolle der Investitionsbank Berlin im Wohnungsbau